7.12.2011
Stellungnahme des
DIBt zum SPIEGEL-online-Artikel "Styropor-Platten in Fassaden – Wärmedämmung kann
Hausbrände verschlimmern" und zum Beitrag des NDR in der Sendung "45
Minuten" am 28.11.2011
Anlass:
Der im NDR-Fernsehen gezeigte
Filmbericht und der darauf Bezug nehmende Artikel auf SPIEGELonline beschreiben ein vermeintlich hohes
Brandrisiko bei der Verwendung von Wärmedämmverbundsystemen mit
Polystyroldämmstoff (EPS-Hartschaumplatten), obgleich diese Systeme
bauaufsichtlich zugelassen sind.
Stellungnahme DIBt:
Nach den Landesbauordnungen müssen
Außenwandbekleidungen von Gebäuden über 7 m einschließlich der Dämmstoffe und
Unterkonstruktionen schwerentflammbar sein. Für kleinere Gebäude genügen bauordnungsrechtlich
normalentflammbare Außenwandbekleidungen.
Bei den vom DIBt zugelassenen
WDV-Systemen mit Polystyroldämmstoffplatten (EPSHartschaumplatten) muss zum einen der Nachweis der
Baustoffklasse B1 (schwerentflammbar) nach DIN 4102-1 für die "Komponente"
EPS-Hartschaumplatten erbracht werden und zum anderen ist für das komplette
WDV-System der Nachweis, dass die Anforderungen an schwerentflammbare Baustoffe
erfüllt werden, durch Brandprüfungen nach nationalen (DIN 4102-1) oder
europäischen Prüfverfahren (DIN EN 13823) sowie ggf. durch zusätzliche
Großversuche im Maßstab 1:1 zu führen.
Die Einstufung
"schwerentflammbar" bedeutet dabei, dass unter den Bedingungen eines
beginnenden Zimmerbrandes bzw. bei Beanspruchung
einer Außenwandbekleidung durch Flammen aus einem im Vollbrand stehenden Raum der
energetische Beitrag des betreffenden Baustoffs (hier WDV-System) zum Brand sowie die daraus resultierende
Brandausbreitung über den Primärbrandbereich hinaus gering sind.
WDV-Systeme mit o. g. Dämmstoffplatten,
insbesondere bei großen Dämmstoffdicken (> 100 mm), sind bei Brandbeanspruchungen im
Sturzbereich von Öffnungen kritisch und können sich unter bestimmten Bedingungen wie normalentflammbare
Baustoffe verhalten, d. h. eine ungehinderte Brandausbreitung ist möglich.
Insofern liefert der Filmbericht keine
neuen Erkenntnisse.
Dass WDV-Systeme mit
Polystyroldämmstoffplatten brennen, ist in der Fachwelt eine allseits bekannte
Tatsache. Dieses seit Mitte der 1990er Jahre bekannte Brandverhalten führte
dazu, dass durch Hersteller und den Fachverband WDVS in Abstimmung mit dem DIBt
unter Einbeziehung des zuständigen Sachverständigenausschusses (SVA) des
DIBt und der Bauaufsicht konstruktive Brandschutzmaßnahmen gegen eine
Brandausbreitung und Brandweiterleitung bei WDV-Systemen mit EPS-Dämmstoffen
entwickelt und in umfangreichen Testserien geprüft wurden. Die verbindliche Festschreibung
dieser Maßnahmen erfolgte dann in den allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen
für diese WDV-Systeme.
Im Einzelnen wird dazu in den
Zulassungen für o. g. WDV-Systeme als konstruktive Maßnahme die Sturzbekleidung und eine seitliche
Verkleidung von Außenwandöffnungen mit nichtbrennbaren Mineralwolledämmstoffen oder
alternativ die Anordnung von Brandsperren aus nichtbrennbaren Mineralwolledämmstoffen über jedem
zweiten Geschoss festgelegt.
Die Anordnung von Brandsperren in
mindestens jedem 2. Geschoss ist mit der Fachwelt (Sachverständige,
Bauaufsicht) im Hinblick auf die Begrenzung einer möglichen Brandausbreitung
bei Gebäuden über 7 m bis 22 m abgestimmt.
Diese Lösung berücksichtigt, dass bei
Außenwänden mit Öffnungen (Fenster) und ohne brennbare Außenwandbekleidungen, im Falle eines
Raumbrandes Flammen aus den Fenstern schlagen werden.
An die im darüber liegenden Geschoss
befindlichen Fenster (und deren Gläser) werden keine Anforderungen an eine
Feuerwiderstandsfähigkeit gestellt; die Anforderung an eine Feuerwiderstandsfähigkeit besteht
grundsätzlich nur für die Geschosstrenndecken (mit Ausnahme bei Gebäudeklasse 1), d. h. die aus den
Fenstern schlagenden Flammen können das darüber befindliche Geschoss (und die Fenster) erreichen.
Das mögliche Versagen der Fenster (Glasbruch) durch die thermische Einwirkung von Flammen wird
hingenommen.
Insofern ist die Anordnung von
Brandriegeln in jedem 2. Geschoss im Einklang mit den Bestimmungen der
Landesbauordnungen und sie begrenzt wirksam eine Brandausbreitung/Brandweiterleitung
auf Außenwänden.
Dies wurde durch umfangreiche
Prüfungen an originalmaßstäblichen Versuchsaufbauten von WDV-Systemen
nachgewiesen.
Zu dem bei der MPA Braunschweig
durchgeführten Brandversuch ist Folgendes anzumerken:
Der Versuchsaufbau entsprach nicht dem
für Zulassungsprüfungen geforderten Aufbau, wie er auch im Arbeitsentwurf von DIN 4102-20
beschrieben wird. Anstelle eines L-förmigen Versuchsstandes wurde nur eine rückwärtige Versuchsstandswand
mit dem WDV-System bekleidet und geprüft und die Wand war links und rechts durch massive Wände
aus mineralischen Baustoffen begrenzt (U-förmiger Versuchsstand).
Durch diese schachtförmige
Versuchsanordnung wird die thermische Exposition des WDV-Systems deutlich erhöht und entspricht
nicht mehr einer Brandbeanspruchung unter Realbrandbedingungen.
Zu dem im Fernsehbericht des NDR
zitierten Feuerwehreinsatz in Berlin im Jahr 2005 ist festzustellen, dass es sich hierbei nicht um ein vom
DIBt zugelassenes WDV-System handelte.
Das DIBt hatte dieses Brandereignis –
obwohl es nicht direkt betroffen war – zum Anlass genommen im Frühjahr 2005 in seinem SVA
"Brandverhalten von Baustoffen B1/B2" über ggf. erforderliche Konsequenzen für das
Zulassungsverfahren bei WDV-Systemen zu beraten. Im Ergebnis wurde von den Sachverständigen festgestellt, dass
Zulassungsverfahren des DIBt nicht betroffen seien, die bisher zugelassenen WDV-Systeme seien
hinreichend sicher.
Hierzu merke
ich an: „Ein Geschoss wird geopfert!“
Wenn die Einstufung
"schwerentflammbar" bedeutet, dass unter den Bedingungen eines
beginnenden Zimmerbrandes bzw. bei Beanspruchung einer Außenwandbekleidung
durch Flammen aus einem im Vollbrand stehenden Raum der energetische Beitrag
des betreffenden Baustoffs (hier WDV-System) zum Brand sowie die daraus
resultierende Brandausbreitung über den Primärbrandbereich hinaus gering ist, wirkt die Aussage, dass die
Anordnung von Brandriegeln in jedem 2. Geschoss im Einklang mit den
Bestimmungen der Landesbauordnungen steht, weil sie wirksam eine Brandausbreitung/ Brandweiterleitung
auf Außenwänden begrenzt, wenig überzeugend.
Gerade die Anordnung des umlaufenden
Brandriegels in nur jedem zweiten
Geschoss verstärkt doch die Brandausweitung auf Aussenwänden und begrenzt diese
doch nicht generell, sondern bestenfalls auf die übernächste Etage. Ausserdem
hinkt die Argumentation mit der Heranziehung nicht brennbarer Fassadenteile,
denn wenn bei Aussenwänden mit Öffnungen (Fenstern) und ohne brennbare Außenwandbekleidungen im Falle eines Raumbrandes
Flammen aus den Fenstern schlagen, können
diese das darüber liegende Geschoss erreichen, müssen es aber nicht. Im Falle
ungeschützter brennbarer Fassadenteile ist aber das Überschlagen des Brandes
auf das nächste Geschoss sicher!
Für mich stellt der umlaufende Brandriegel
in jeder zweiten Etage eine deutliche Qualitätsverschlechterung dar im
Verhältnis zu einer ordnungsgemäß ausgeführten Brandbarriere im Sturzbereich
über Gebäudeöffnungen. Eine echte Alternative wäre auch, den umlaufenden
Brandriegel nach jeder Etage einzubauen, aber das wäre ja schon eine
unerwünschte deutliche Qualitätsverbesserung, weil die Messlatte der
bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen übersprungen würde, ohne sie zu
berühren.
Ob der Versuchsstand hätte L-förmig
aufgebaut sein sollen statt U-förmig, scheint mir für die praktische
Darstellung unbedeutend, zumal Rücksprünge in polystyrolgedämmten Mauerwerken
nicht gerade selten sind. Auch hier wird versucht, uns ein X für ein U
vorzumachen! Man spricht von deutlich erhöhter thermischer Exposition, ohne
diese näher zu präzisieren.
Die Scheinheiligkeit gipfelt aber darin, dass
im Brandfall „Berlin“ festgestellt wurde, dass es ja gar kein zugelassenes WDVS
war, welches abgebrannt ist. Es mag schon sein, dass – wie so oft in der
Baupraxis – halt nicht alle Komponenten von einem Systemhersteller stammten und
daher keine gültige abZ vorlag, aber offensichtlich hatte die
Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt, weil der Mix von
Systemkomponenten nicht ursächlich war für die eingetretenen Folgen; mit
anderen Worten: wenn strikt nach der Zulassung gebaut worden wäre, wäre das
auch passiert!